14. September 2021 Startschuss: LdE-Landesinitiative in Thüringen

"Wer eine Vision hat, findet auch einen Anfang"

Als die Pandemie begann und Schulen in ganz Deutschland Wege finden mussten, um Distanzunterricht zu gestalten, bemerkten Lehrer*innen in Thüringen: Vermittlung von Lernstoff allein reicht unter diesen Bedingungen nicht aus. Schnell stieg das Interesse an LdE in den Schulen – jetzt startet die Politik dazu eine landesweite Kampagne. Was aktuell geplant ist: Das berichtet uns Dr. Burkhard Stenzel vom Thüringer Bildungsministerium.


Pünktlich zum neuen Schuljahr startet Thüringen eine Landesinitiative zu Lernen durch Engagement. Warum gerade jetzt?

Bereits vor der Pandemie hat sich gezeigt, dass Lehrer*innen in Thüringen wieder mehr Interesse an Projekten der politischen Bildung und an Lernen durch Engagement als Lehr- und Lernform gefunden haben. Der Bedarf nahm während der Pandemie noch einmal zu: Lehrkräfte haben bei uns angefragt, mit welchen neuen und anderen Aktivitäten sie Schüler*innen erreichen können, als mit den üblichen Lernangeboten. Hier konnten wir auf digitale Formate der Stiftung Lernen durch Engagement verweisen, bei denen die Förderung demokratischer Haltungen im Mittelpunkt steht. Außerdem hat Thüringen gerade vier neu zertifizierte LdE-Schulbegleiter*innen gewonnen – Lehrer*innen, aber auch Kolleg*innen aus der Verwaltung: Diesen Schwung in unserem Ministerium, in den Schulämtern und auch unter Schulleitungen wollen wir jetzt nutzen. Das ist für uns eine ganz neue Erfahrung.

Was bewirkt LdE in Ihren Augen?

Ich bin davon überzeugt, dass Lernen durch Engagement das Reflexionsvermögen von Lehrer*innen verändert – sowohl, was das eigene Handeln betrifft, als auch gegenüber anderen. Lernen durch Engagement kann Einstellungen und den Umgang miteinander verändern – das ist es, was ich wahrnehme. Und: Bei LdE werden Kinder und Jugendliche auf eine Art und Weise angesprochen, die sie sonst im Schulalltag mitunter nicht so häufig erleben, weil oft Prüfungen und Leistungen im Vordergrund stehen. Bei Service-Learning geht es erst einmal nicht darum, dass junge Menschen Leistung abliefern, sondern darum, dabei zu sein und nach individuellen Möglichkeiten mitzumachen. Dieses Gefühl, nicht abseits zu stehen, sondern aktiv mitzuwirken – das ist es, was LdE für mich ausmacht und das auch verschiedene Potenziale mit sich bringt, etwa für das digitale Lernen. Es gibt so viele Wege, sich mit dem Leben vertraut zu machen: LdE ist in der Schulzeit eine der guten und praktikablen Möglichkeiten davon.

Welche Angebote machen Sie Schulen mit der Landesinitiative?

Zum Schuljahresanfang lädt unser Minister für Bildung, Jugend und Sport Helmut Holter alle Schulen per Brief dazu ein, Service-Learning auszuprobieren: Parallel dazu erhalten alle weiterführenden Schulen in unserem Bundesland die Broschüre „Demokratiekompetenz bei Service-Learning“ von Anna Mauz und Prof. Dr. Marcus Gloe. Das Ministerium bietet außerdem eine Reihe vielfältiger Fortbildungen zu Lernen durch Engagement an – für Lehrer*innen wie für Personen im Bereich Schulsozialarbeit.

Im Thüringer Schulportal stehen Lehrer*innen außerdem Lernvideos zum Selbststudium sowie das Web Based Training zu Lernen durch Engagement in den MINT-Fächern zur Verfügung. Dort findet man auch detaillierte Beispiele der aktiven LdE-Projektschulen in Thüringen, die wichtige Partner der Landesinitiative sind. Alle Informationen, beispielsweise über Fortbildungen für Lehrer*innen sowie über die Fördermittel in einer Höhe von bis zu jeweils 500 Euro je Schule, bündeln wir in einem neuen Flyer, der ebenfalls an unsere Schulen verschickt wird – mit der herzlichen Einladung, sich mit eigenen Ideen einzubringen.

Was erhoffen Sie sich von der Aktion?

Wir wollen es Thüringer Schulen erleichtern, Lernen durch Engagement kennenzulernen und umzusetzen. Ich kann mir vorstellen, dass sich durch die Landesinitiative im Schuljahr 2021/22 etwa zehn weitere Schulen auf den Weg machen, kleine Teams bilden und erst einmal mit einem Projekt beginnen. Außerdem wollen wir Schulen erreichen, die vielleicht seit Jahren schon mit außerschulischen Partnern zusammenarbeiten – und in LdE eine Möglichkeit entdecken, solche Kooperationen pädagogisch zu vertiefen. Und das explizit nicht nur auf der Projektebene, sondern nachhaltig verankert, als einen innovativen Ansatz für den Unterricht. Die Thüringer Schulordnung ermöglicht unseren weiterführenden Schulen durchaus, dafür Unterrichtsstunden zu verwenden, so wie auch unsere kompetenzorientierten Lehrpläne die Umsetzung einräumen.

Seit diesem Jahr hat Thüringen eine landesweite LdE-Koordinatorin …

…und das ist ein großer Gewinn für uns: Romana Schneider setzt als Lehrerin seit vielen Jahren selbst Service-Learning qualitätsvoll um und bringt die Verbreitung der Lehr- und Lernform sehr engagiert voran. Als Landeskoordinatorin ist sie für Schulen die zentrale Ansprechpartnerin zu LdE. Sie koordiniert unser Landesnetzwerk hinsichtlich der Fortbildungsveranstaltungen, nimmt sich Fragen der Zertifizierung und Öffentlichkeitsarbeit an – und ist stets ansprechbar. Das zeichnet Romana Schneider in meinen Augen aus. Sie beweist immer wieder Kreativität für neue Lösungen in allen diesen Feldern. Das ist möglich, weil sie gute Partner*innen in den Staatlichen Schulämtern Thüringens und im Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) hat. Das ThILLM ist für unsere Schulen das LdE-Kompetenzzentrum.

Haben Sie weitere Schritte im Sinn, um LdE in Thüringen zu verbreiten?

Ich sehe das so, dass sich für Lehrer*innen mit LdE neue Horizonte erschließen – und damit bin ich nicht allein: Sowohl Kolleg*innen im Ministerium als auch Schulleitungen erleben das ähnlich. Der Weg dorthin erfordert noch einige Bemühungen und die Bereitschaft, den gewohnten Pfad stellenweise zu hinterfragen: Lehrer*innen entscheiden, wo Veränderungen Sinn machen und wie sie sich „einmischen“ wollen. Deshalb lassen wir LdE auch bereits in die Lehramtsausbildung einfließen. Auch hier ist Romana Schneider sehr aktiv, sie stellt wichtige Kontakte her und hält Vorträge – erste Verbindungen laufen zusammen, die in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Dabei setzen wir auch auf mehr Unterstützung aus dem Hochschulbereich. Für alle Beteiligten ist das nicht einfach. Aber wer eine Vision hat, findet auch einen Anfang.

Vielen Dank für das Gespräch, und viel Erfolg!

Das Interview führte Natalia Bronny

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