Von Demokratielernen bis Design Thinking mit Service-Learning
Michael Kubli hat mehrere Jahre lang Service-Learning umgesetzt und als Schulleiter gefördert. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen, die er heute als Mitglied des Zentrums Service-Learning mit Schulen in der ganzen Schweiz teilt.
Was zeichnet Service-Learning in Deinen Augen als innovative schulische Didaktik aus?
Kooperation, Kreativität, Kommunikation, kritisches Denken: Service-Learning fördert alle 4-K-Kompetenzen – von denen ich im Schulkontext das kritische Denken für die Wichtigste halte, weil diese häufig überhaupt erst ausgebildet werden muss. Dabei verstehen sich kritisch hinterfragende Schüler*innen und die vielfältigen Aufgaben im Schulalltag nicht unbedingt gut miteinander: Wir Lehrer*innen sind froh, wenn es auch einfach mal läuft und Schüler*innen mitmachen. Aus pädagogischer Sicht ist also entscheidend, wie das kritische Denken junger Menschen konstruktiv sein kann – und Service-Learning hat eben in der Regel einen positiven Verlauf.
Kannst Du uns ein Beispiel für Service-Learning aus Deiner eigenen Praxis geben?
Bei meinem ersten Service-Learning-Projekt an einer Privatschule am Bodensee waren Jugendliche als „Locations Scouts“ unterwegs, das kennt man als Suche geeigneter Drehorte für Filmproduktionen: Die Schüler*innen haben in ihrer Gemeinde nach unterschiedlichen Orten gesucht, die eigentlich cool, aber nicht unbedingt bekannt waren. Um das zu ändern, haben sie an diesen Orten Aktionen wie Modeschauen veranstaltet und schließlich eine Karte entwickelt, die sie der Stadt übergaben. Danach habe ich diverse Projekte an einer öffentlichen Schule in Kreuzlingen am Bodensee gemacht: Diese Schule ist mittlerweile gut vernetzt und wird von der Kommunalverwaltung oder Organisationen vor Ort für Service-Learning-Kooperationen angefragt: So ein Netzwerk ist super, weil derartige Bedarfe das Engagement der Schüler*innen noch wirksamer machen können.
Demokratiepädagogik kennt viele Ansätze: Worin siehst Du das Potenzial von LdE?
Um Demokratielernen ganzheitlich zu denken, gibt es im Moment nichts Besseres als Service-Learning. Wie kommuniziere ich fair, wie können gemeinsame Entscheidungen getroffen werden: Das sind wichtige demokratische Kompetenzen – aber das lässt sich auch im Klassenraum machen. Bei Service-Learning hingegen gehen die Kinder und Jugendlichen hinaus und erfahren: ‚Das Leben ist nicht nur das, was ich aus der Schule oder den sozialen Medien kenne: Das ist Teil größerer Zusammenhänge.‘ Gleichzeitig erleben sie sich als aktives Mitglied unserer Gesellschaft – mit direktem Einfluss auf ihre Umgebung, wie bei den Location Scouts.
Welche Herausforderungen erlebst Du bei der Umsetzung von Service-Learning?
Service-Learning bedeutet, Schüler*innen loszulassen und sich als Lehrer*in davon zu lösen, etwas zu planen, was dann umgesetzt und abgeschlossen wird. Es braucht die Offenheit, Kinder und Jugendliche Verantwortung übernehmen zu lassen. Und auch scheitern zu sehen: Der Umgang damit ist ja eine enorm wichtige Kompetenz. Für Lehrer*innen heißt das, Vertrauen zu zeigen, aber auch eine Struktur anzubieten, mit der Schüler*innen schrittweise loslaufen können.
Hast Du eine Empfehlung für Lehrer*innen, wie das gelingen kann?
Ich finde Design-Thinking wertvoll als Gerüst für Prozesse, die am Ende ganz woanders hinführen dürfen, als anfangs vielleicht vermutet. Dieser Ansatz begreift Ergebnisse oder Produkte nie als endgültig und rückt Prozesse in den Mittelpunkt – was Lehrer*innen unter anderem darin entlastet, alle Antworten kennen zu müssen. Eine zentrale Frage bei Design-Thinking lautet: „Is it good enough to try?” Darin steckt die Haltung eines agilen Mindsets: Wir haben eine Idee und legen einfach mal los, falls es keine schwerwiegenden Einwände gibt – denn auf dem Weg wird sich unser Service-Learning-Projekt ohnehin ständig verbessern, insofern wir immer wieder reflektieren. So gestalten Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam moderne Prozesse, die selbst quasi lernfähig sind.