27. Oktober 2021 Interview zu LdE in Baden-Württemberg

"LdE schlägt eine Brücke von Schule in die Gesellschaft"

Als Kind das regionale Umfeld erkunden und sich als wichtigen Teil der Gemeinschaft erleben: Mit diesem Anliegen startet die Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach 2016 ins Schulentwicklungsvorhaben „Ortenauer Weg“. Dabei trifft die Grundschule auf eine damals unbekannte Weggefährtin: Lernen durch Engagement. Heute ist LdE fester Bestandteil der Schule – ein Gespräch mit Schulleiterin Stefanie Zentner.  

Wie können wir uns Lernen durch Engagement an Ihrer Grundschule vorstellen?  

Das Spannende ist ja: LdE lebt davon, keine vorgefertigten Aufgaben zu lösen, sondern den Blick zu öffnen. Und sich zu fragen: Was passiert da um uns herum, und was hat das mit mir und dem Unterricht zu tun? In diesen offenen Prozessen lernen die Kinder, anderen Menschen zuzuhören und gemeinsam zu entscheiden, wie sie sich einbringen könnten. Dabei entstehen unterschiedlichste Ideen. LdE schlägt eine Brücke von unserer Schule in die Gesellschaft, sodass unsere Schüler*innen sich mit ihrem Wissen und ihren Kompetenzen so früh wie möglich als gesellschaftlich wichtige Akteur*innen in ihrer Umgebung erleben.

Um all unseren Schüler*innen diese wertvolle Lernerfahrungen zu ermöglichen, haben wir LdE als Lernform fest im Schulkonzept des Ganztags verankert. Das bedeutet, dass alle Schüler*innen jahrgangs- und fächerübergreifend in vielfältigen Engagements aktiv werden – abgestimmt auf ihre Interessen und den jeweiligen Bedarf in der Umgebung. Die Engagement-Projekte sind auf ein ganzes Schuljahr ausgerichtet, da wir den Schüler*innen bewusst ausreichend Zeit geben möchten, sich einzubringen, wichtige Entscheidungen zu treffen und sich persönlich weiterzuentwickeln.  

Wie sieht das konkret aus? 

Je nach Bedarf in der Region engagieren sich die Schüler*innen in unterschiedlichen Bereichen. Momentan steht das Thema „Generationen“ im Fokus, da 2019 in unmittelbarer Nachbarschaft ein Seniorenzentrum eröffnet hat und wir darin die Chance sahen, das Thema mit den Kindern aufzugreifen. Viele Senior*innen erleben Einsamkeit und Isolation – Kinder wiederum wachsen oft ohne oder mit wenig Kontakt zu Groß- und Urgroßeltern auf. Durch gemeinsame Aktionen bekommen Jung und Alt Einblick in die jeweilige Lebenswelt, entwickeln Verständnis füreinander und können voneinander lernen.

Gestartet sind wir mit einem gemeinsamen Gottesdienst, und die Schüler*innen entwickelten viele weitere Ideen von Besuchen über gemeinsames Spielen bis hin zu Singen oder Spazieren – angebunden an die Fächer Deutsch, Musik, Kunst und Sachunterricht. All das war natürlich aufgrund von Corona so nicht möglich, aber die Kinder haben sich tolle Alternativen einfallen lassen, um den Senior*innen die Botschaft zu senden: Wir denken an Euch, ihr seid nicht allein. Mittlerweile ist eine enge Patenschaft zum Seniorenheim entstanden, die nun durch das Projekt „Demenz im Quartier“ der Gemeinde Bohlsbach noch vertieft werden kann. 

Das klingt gar nicht so einfach zu Zeiten der Pandemie, in denen außerschulische Aktionen vor allem mit älteren Risikogruppen kaum möglich sind. 

Die Pandemie und die Schulschließungen haben unsere LdE-Aktivitäten zunächst ziemlich eingeschränkt und ursprüngliche Ideen ganz schön durcheinandergebracht. Aber die Kinder waren sich einig, dass gerade jetzt an die Menschen im Seniorenheim gedacht werden muss, da sie sonst kaum Kontakt zur Außenwelt haben. Es eröffneten sich uns völlig neue Wege und Ideen, auf die wir ohne Corona wahrscheinlich gar nicht gekommen wären.

Zum Beispiel gestalteten die Kinder im Kunstunterricht Weihnachts- und Osterkarten und überbrachten diese mit einem Gedicht und einem persönlichen Gruß an die Bewohner*innen. Die Kinder der 3. Klasse lernten in den Fächern Deutsch und Musik traditionelle Lieder und Gedichte und überbrachten diese als Videobotschaften ins Seniorenzentrum. Die Freude darüber war so groß, dass die Bewohner*innen nun selbst eine Videobotschaft für die Schüler*innen vorbereiten. Die Bedarfe anderer Menschen wahrzunehmen – gerade zu so schwierigen Zeiten – und eigene Ideen umzudenken, das empfinden wir als einen enorm wertvollen Lernprozess für unsere Schüler*innen.  

Welche Veränderungen können Sie an Ihren Schüler*innen erkennen?  

LdE ermöglicht unseren Schüler*innen den Blick aus der Schule hinaus. Wir haben erkannt, welches Potenzial die realen Bedarfe vor Ort mit sich bringen, wie man diese mit dem Unterricht verknüpfen kann und was die Schüler*innen daraus schöpfen können. Hierzu sind wir auch in regelmäßigem Austausch mit der Ortsvorsteherin. Schon in den ersten Jahren ihrer Schullaufbahn lernen Kinder, was Engagement bedeutet, dass es Spaß macht, gemeinschaftlich Ideen zu planen und umzusetzen und anderen damit eine Freude zu bereiten. Die Anerkennung hat eine positive Wirkung auf die weitere Entwicklung der Kinder. Wir denken nicht nur in unseren Schulmauern, sondern darüber hinaus. Deshalb ist LdE für uns schon seit längerem unser Schwerpunkt-Schulentwicklungsthema. „Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge“.  

Was würden Sie Schulen raten, die mit Lernen durch Engagement starten wollen? 

Jede Schule kann mit kleinen Projekten starten, so wie wir es auch getan haben. Bei den Netzwerktreffen haben wir tolle und große Projekte von älteren Schüler*innen gesehen, aber auch mit Grundschulkindern gibt es tolle und vielfältige Möglichkeiten eines Engagements. Ich empfehle, die Workshops, Fortbildungen und Tagungen zu LdE zu besuchen, da der gegenseitige Austausch sehr inspirierend ist. Zudem wünsche ich ihnen den Mut, sich auch mit kleinen LdE-Projekten für den LdE-Schulpreis zu bewerben, da sie im Nachhinein sehr gut beraten werden.  

Vielen Dank für den Einblick!

Das Interview führten Nicola Hermann & Lisa Funke

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