Weil sich mir dann eine weitere Frage stellt. Wenn einige Dinge in den Schulen in einer totalitären Diktatur und an den Schulen in einer Demokratie eventuell gleich sind, dann frage ich mich: Sollte an Schulen in einer demokratischen Gesellschaft etwas anders sein als an Schulen in einem autoritären Regime? Sollten sie sich unterschieden? Falls ja, was sollten wir an den Schulen in einer Demokratie anders machen?
Am heutigen Vormittag möchte ich darüber sprechen, wie Schulen dazu beitragen könnten, demokratische Institutionen und Gesellschaften zu stärken, und insbesondere darüber, wie gut Service-Learning für diese Aufgabe geeignet ist. Dies ist eventuell nicht immer der Fall. Service-Learning ist nicht perfekt und kann auch nachteilig angewendet werden. Aber bei richtiger Durchführung hat es das Potenzial, zu verändern, wie wir Bildung vermitteln und erhalten. Es muss hohe Ziele verfolgen, und die Art und Weise zu transformieren, wie unsere Gesellschaft funktioniert und wie wir demokratische Institutionen wahren.
All dies sage ich in einer Zeit, in der demokratische Institutionen rund um den Globus enormen Bedrohungen ausgesetzt sind, wie wir immer wieder feststellen. In den Vereinigten Staaten haben wir Donald Trump, aber wir können ihn nicht für alles verantwortlich machen. Wir haben es hier mit einer ganzen republikanischen Partei zu tun, die sich im politischen Spektrum immer weiter nach rechts bewegt. In Deutschland haben Sie die AfD.
Wir haben gerade darüber gesprochen und Anne [Sliwka] hat uns erzählt, dass laut einer aktuellen Umfrage neun Prozent der Deutschen die AfD wählen würden, wenn heute Wahltag wäre. Das heißt, einer von zehn Menschen würde in Deutschland eine extrem rechte Partei wählen, die vermutlich kaum Respekt für das hat, was die Menschen wirklich wollen. Es ist eine populistische Partei, die nicht bereit ist, nachzudenken, wie eine Demokratie funktioniert.
Was also brauchen Schulen in einer Demokratie, was Schulen in einer Diktatur nicht brauchen? Dabei sollten Sie daran denken, dass das öffentliche Schulsystem in demokratischen Gesellschaften auf der ganzen Welt auf der Idee gründet, dass die Menschen eine gute Bildung brauchen, damit Demokratie funktioniert. Sonst funktioniert das Experiment nicht. Dies geht auf Thomas Jefferson zurück, der in etwa Folgendes sagte: Wenn die Menschen nicht gebildet genug sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, besteht die Lösung nicht darin, ihnen diese Macht wegzunehmen, sondern vielmehr darin, sie zu bilden. Das öffentliche Schulsystem in seiner unerreichten Idealform wird häufig mit der Vorstellung in Verbindung gebracht, dass eine gut funktionierende Demokratie eine gebildete Öffentlichkeit braucht.
Es geht nicht nur darum, als Pädagog*innen darüber zu reden, weil alle darüber reden. Wir reden deshalb darüber, weil Schulen eine äußerst wichtige Rolle spielen, um Menschen zu lehren, wirkungsvolle Bürger*innen in einer Demokratie zu sein. Mit Bürger*innen meine ich Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft und nicht die juristische Definition von „Bürger“. Unabhängig davon, ob Sie Einwohnerin oder ein legaler Bürger sind, können Sie sich in Ihrer Gemeinde engagieren, und in den Entscheidungsprozess Ihres Landes einbringen. Was ist dafür notwendig?
In demokratischen Gesellschaften müssen Bürger*innen unter anderem die Freiheit haben, unbequeme Fragen zu ihrer Regierung und der Gesellschaft um sie herum stellen zu können. Das ist etwas, was totalitäre Diktatoren, nicht einmal Carla, ihren Bürger*innen zugestehen würden. Sie wollen keine Fragen. Sie wollen entscheiden und sagen: „Das wird jetzt gemacht. Das sind die Spielregeln. Sie werden befolgt, weil ich das will.“ Aber in demokratischen Gesellschaften müssen die Menschen selbst die Wahl haben, politische Entscheidungen zu treffen und die Regeln für das Zusammenleben in der Gesellschaft festzulegen. Genau darum geht es in einer Demokratie. Es ist ein gemeinsamer Prozess zur Entscheidung der Frage: Wie sollten wir leben?
Meine Frau ist auch Dozentin, sie unterrichtet englische Literatur. Daher komme ich quasi per Osmose mit Literaturtheorie in Berührung. Eine Literaturwissenschaftlerin mag ich besonders: Amanda Anderson. Sie sagt, die wichtigste Frage, mit der sich die Literaturkritik ihrer Meinung nach beschäftigen sollte, ist die Frage: Wie sollten wir leben? Ich glaube, als Pädagog*innen trifft das auf uns alle zu, oder? Es ist eine der wichtigsten Fragen an die Schüler*innen, um sie zum Nachzudenken anzuregen.
Wie sollten wir leben? Diese Frage ist vielschichtig, denn sie impliziert, dass wir eine Wahl haben. In einer Diktatur hat man keine Wahl. Die Führung entscheidet über alles. Die Leitfiguren in einer Demokratie werden gewählt, aber sie treffen dennoch manche Entscheidungen für uns. Wir bewerten alles jedoch ständig neu, mindestens durch die Wahlen, aber hoffentlich durch noch mehr, indem wir z. B. Briefe schreiben, uns direkt an unsere Regierung wenden oder demonstrieren gehen. Immer wieder treffen wir Entscheidungen zu dieser so wichtigen Frage. Wie sollten wir leben? Sollten wir Steuern erhöhen oder Steuern senken? Sollten wir bei einer Pandemie Wochen oder Monate zu Hause bleiben? Oder sollten wir das Haus verlassen und wieder zur Tagesordnung übergehen? Sollten wir Abtreibungen legalisieren und die Reproduktionsmedizin für Frauen zugänglich machen, oder sollten wir dies unter Strafe stellen? Sollten homosexuelle Menschen einander heiraten dürfen oder sollte man ihnen dies verbieten? All dies sind Fragen, zu denen die Bürger*innen in einer Demokratie zusammenkommen und entscheiden müssen.
Schulen sind sicherlich die wichtigsten Institutionen, die es Bürger*innen ermöglichen können, diese Aufgabe wahrzunehmen, aber: Sie müssen Fragen stellen können. Erstens glaube ich, dass Bürger*innen in einer Demokratie in der Schule lernen müssen, wie man Fragen stellt und wie man zu Kompromissen und Entscheidungen kommt, die unser Zusammenleben regeln. Zweitens denke ich, dass Schulen in einer Demokratie den Menschen beibringen müssen, mit mehreren Perspektiven umzugehen.