Frisch gereinigte Stolpersteine in Freiburg mit Rosen bedeckt
United World College Freiburg

Erinnerung möglich machen

Jugendliche Schüler*innen befassen sich umfassend mit der lokalen Geschichte des Nationalsozialismus, kooperieren mit der "Stolpersteine"-Initiative vor Ort und erarbeiten eine mehrsprachige Website für lebendiges Gedenken: Erfahren Sie mehr über das LdE-Projekt "Erinnerung möglich machen".


Eine Idee mit Hindernissen

Ausgangspunkt dieses LdE-Praxisbeispiels ist eine bestehende Kooperation der Schule mit der lokalen Gruppe eines europaweiten Projekts: "Stolpersteine" sind kleine Gedenktafeln in Straßen innerhalb ganz Europas, die an nationalsozialistisch verfolgte, deportierte und ermordete Menschen erinnern – so auch in Freiburg. Die LdE-Schüler*innen nehmen sich zunächst der Pflege von Stolpersteinen an. Bald wollen die Jugendlichen schließlich mehr über die Lebensgeschichten hinter den verewigten Namen erfahren – und aktiv werden gegen Antisemitismus und für ein lebendiges interkulturelles Gedenken.

Systematisch erfassen die Schüler*innen die Stolpersteine in Freiburg, sie recherchieren Lebensgeschichten und übersetzen die erstellten Biografien in jene Sprachen, die sie selbst sprechen. Worauf die Schüler*innen hinarbeiten: Für die Nachkommen von Menschen, die in der NS-Zeit in Freiburg verfolgt worden sind, und für die Stadtgemeinschaft erstellen sie eine mehrsprachige Website über die Stolpersteine vor Ort, um die Schicksale der Opfer und Überlebenden aufzubereiten – und in verschiedenen Sprachen zugänglich zu machen.

In der Ukraine gibt es eine große jüdische Gemeinde – indem ich die Biografien der Verfolgten in meine Muttersprache übersetze, kann ich es ihren Kindern und Enkeln ermöglichen, nach ihnen zu suchen.

Vasyl LdE-Schüler

Von Beginn ist das LdE-Projekt von Unmöglichkeiten der Pandemie herausgefordert, immer wieder finden die Schüler*innen (digitale) Alternativen. Ein Beispiel: Anstatt auf einer Gedenkfeier zum 27. Januar Biografien verfolgter Menschen vorzutragen, wird diese Lesung kurzerhand als Film umgesetzt und in Kooperation mit der Stadtverwaltung online gezeigt.

Thematische Zielsetzungen

Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands sowie mit Diskriminierung und Rassismen unserer Gegenwart: Um diese Themen dreht sich dieses LdE-Praxisbeispiel. Dreh- und Angelpunkt des Lernens sowie des Engagements ist das europaweite Projekt der "Stolpersteine". Indem die Schüler*innen sich mit individuellen Lebensgeschichten hinter den Stolpersteinen auseinandersetzen, werden abstrakte Zahlen erfahrbar und verständlich. Und: Indem die Schüler*innen aktuelle Strukturen von Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismen untersuchen, findet der Transfer in die eigene Lebenswelt statt: 'Welche Vorurteile habe auch ich? Und was kann ich dagegen tun?' Auch im interdisziplinären Austausch mit den Fächern Geschichte und Englisch werden außerdem Themen wie Erinnerungskulturen, moralische Haltungen und Entscheidungen sowie Integration bearbeitet.

Anfangs wirkte es auf manche Schüler*innen nur wie eine anstrengende Aufgabe, Stolpersteine in Tabellen zu erfassen. Mit dem gemeinsamen Ziel aber, eine Website für die Kinder, Enkel und Urenkel verfolgter Menschen zu gestalten, haben sie auf einmal einen motivierenden Sinn in ihrer Arbeit gesehen.

Tina Patzelt Diplom-Pädagogin | UWC Freiburg
Didaktische Ausgestaltung

Die Schüler*innen erstellen gemeinsam mit Diplom-Pädagogin Tina Patzelt die Pläne ihres Projektlernens. Pflege und Dokumentation von Stolpersteinen, Biographien übersetzen, Konzepte für Stadtführungen entwickeln, die Schulgemeinschaft informieren, künstlerisch arbeiten und mehr: Nachdem alle möglichen Themen gesammelt sind, finden sich die Schüler*innen in Gruppen zusammen und beginnen einzelne Teilprojekte, über deren jeweiligen Stand sich alle einmal pro Woche austauschen. Am Ende des ersten Halbjahres entscheiden Schüler*innen und Lehrer*in nach einer gemeinsamen Reflexion den Plan für das zweite Schulhalbjahr und was die nächsten Schritte sind.

Rund um eigene Stärken und Ziele sowie in individuellen und gemeinschaftlichen Prozessen reflektieren die Schüler*innen ihr Lernen durch Engagement. Das geschieht schriftlich oder als Audioaufname, im gegenseitigen Interview – oder in Gruppen: Mündlich thematisieren sie die Stärken und Schwächen des Projektes und die persönlichen Highlights. Über ein Halbjahr halten die Schüler*innen sämtliche ihrer Reflexionen in einem eigenen Portfolio fest. Zum Abschluss feiern die Schüler*innen und Lehrer*innen mit Kaffee und Kuchen das erfolgreiche Projekte, für das sich das Kulturamt der Stadt Freiburg mit Gutscheinen und Geschenken bei den Jugendlichen für ihre Zivilcourage gegen Antisemitismus bedankt – und machen Pläne für das kommende Jahr: Geplant ist bereits, Schüler*innen umliegender Schulen Stadtführungen über Stolpersteine anzubieten und über Sprachtandems auch Kindern und Jugendlichen mit wenig Deutschkenntnissen das Mitmachen zu ermöglichen.

Es ist von entscheidender Bedeutung, an das Leid der Juden und anderer Minderheiten während der Nazi-Diktatur zu erinnern, um für Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt sensibilisiert zu bleiben. Die Geschichte wiederholt sich – und wenn dies der Fall ist, können wir mit unserem Wissen über die Vergangenheit versuchen, dies zu verhindern.

Joseph LdE-Schüler
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