Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach

Jung trifft Alt

Jeden Donnerstag besuchen sie einander: Kinder einer 3. Klasse und Gäste eines Pflegeheims. Über Generationen hinweg bauen sich im LdE-Projekt „Jung trifft Alt“ der Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach spielerisch Beziehungen auf, die für beide Seiten auf vielfältige Weise wichtig sind. 

Nur zehn Gehminuten trennen die Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach vom Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Mal machen sich die Drittklässler*innen auf den Weg, mal die Gäste des Pflegeheims: Im wöchentlichen Wechsel besuchen sich Jung und Alt, um miteinander zu basteln, zu malen, Geburtstage zu feiern, zu spielen, den Schulgarten zu genießen, zu singen. Anfangs gab es Sorgen: "Wie würden Senior*innen und Kinder aufeinander zugehen? Finden sie eine Verbindung – trotz Einschränkungen unserer Senior*innen wie einer Demenzerkrankung?", sagt Selina Schmidt vom Dietrich-Bonhoeffer-Haus. "Aber das war ganz unkompliziert.“

Erst der Einstieg ins Thema Demenz, dann das Engagement im Kiez

Die Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach in Offenburg ist eine gebundene Ganztagsschule. Das Projekt "Jung trifft alt" ist eines von acht Nachmittagsangeboten. Zur inhaltlichen Vorbereitung lernen die engagierten Schüler*innen zunächst im Format eines Ateliers, was Demenz ist  und einen guten Umgang mit Betroffenen auszeichnet. "Wir bieten immer etwa sechs Lernateliers zu je einem Thema an, in das sich eine Lehrperson einarbeitet, um dann nacheinander alle Klassen etwa für Demenz zu sensibilieren", sagt Lehrerin Nicole Luchner. "Irgendwann drängte es die Kinder dann, zu dem Thema aktiv zu werden und die häufig einsamen Senior*innen im Heim um die Ecke zu besuchen."

Wie erleben die Schüler*innen, das Schulteam und die Engagementpartner*innen das LdE-Projekt? Ein Video-Einblick | 6:13 Min

„Ein ganz wichtiges Lernziel im Projekt ist, auf fremde Menschen zugehen zu können. Sich trauen, Gespräche zu beginnen und zu führen, über den Alltag zu sprechen, einander behilflich zu sein. Und auch zu merken, welche Bedürfnisse oder Einschränkungen es gibt, um schon in jungen Jahren gut aufeinander einzugehen", sagt Nicole Luchner. „Das Projekt prägt die Kinder mit Sicherheit sehr nachhaltig",  sagt Stefanie Zentner, Schulleitung der Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach. "Sie erleben, wie glücklich sie andere Menschen mit ihrem Engagement machen können. Sie erleben Wertschätzung, immer wieder. Ich bin tief überzeugt, dass sich die Kinder auch später engagieren werden."

Was die Grundschulkinder bei den Senior*innen auslösen, entpuppt sich als Überraschung. "Menschen, die sehr in sich gekehrt sind, sind plötzlich sehr wach, wenn die Kinder kommen. Sie singen, malen und machen andere Dinge, die sie sonst in unserer Betreuung nicht mehr machen", sagt Selina Schmidt. Ihre Wirkung nehmen auch die Grundschulkinder wahr: „Ich weiß, die Senioren sind oft alleine. Wenn wir reinkommen, sind sie nicht mehr allein. Alle freuen sich, wenn wir da sind", sagt eine*r der LdE-Schüler*innen. „Kinder, die in der Schule eher zurückhaltendend sind, die Stillen und Feinen, blühen bei LdE auf", sagt Nicole Luchner. Sie kommunizieren mehr, agieren lebhafter. "Das ist für mich einer der schönsten Lerneffekte. Auch Kinder, die ich im Schulleben weniger empathisch erlebe, zeigen sich Senior*innen gegenüber zugewandter und emotionaler."

Es fühlt sich so an, als wären alle meine Omas. Als wäre das meine Familie.

LdE-Schüler*in

Für Kinder ohne Großeltern in ihrem Alltag hat das Engagement besonderen Wert. "Ein Schüler ist neulich zum ersten Mal in die Heimat seiner Eltern gefahren, um seinen schon alten Großvater kennenzulernen", sagt Nicole Luchner. Der Schüler erlebe diese Art von Beziehung dafür im Projekt. "Die Kinder erfahren durch ihre Besuche und Begegnungen, dass sie sehr viel Freude bereiten: Ihnen wird Anerkennung, Wertschätzung und auch Zuneigung entgegen gebracht von den Bewohner*innen und den Pflegekräften", sagt die Lehrerin. Unter solchen Umständen lernen die Kinder einen Ort im Dorf kennen, an dem sie sich sinnvoll engagieren können.

„Ich bin selbst überwältigt worden von den positiven Emotionen bei unseren Treffen. Bei unserem ersten Besuch im Mai 2022, nach langer Pandemie, haben ausnahmslos alle geweint – angefangen bei den Pflegekräften. Die Kinder haben uns einfach mitgenommen in ihrer Freude", sagt Luchner. Die wöchentlichen Besuche rahmt die LdE-Lehrerin mit feinfühligen Gesprächen, um die Kinder in ihren Gedanken und Gefühlen zu begleiten. In geleiteten Reflexionen können sie etwa teilen, dass sie Angst davor haben, beim nächsten Besuch einen Krankenwagen vor dem Heim stehen zu sehen, dass ein Feuer ausbrechen könnte, vor dem die teilweise gehbehinderten Senior*innen nicht fliehen könnten, oder dass die Senior*innen plötzlich kein Interesse mehr an ihren Besuchen haben könnten. Ein Kind habe den Tod der eigenen Großmutter im Projekt aufgearbeitet. "Die Kinder sind nach dem Besuch selbstbewusster. Weil sie so viel Gutes erfahren und gehört haben", sagt Luchner.

Eine Grundschule als Herz eines lebendigen Quartiers

„Bevor wir 2019 nach Bohlsbach gezogen sind, war unser Heim in der Innenstadt. Es war eine große Befürchtung, hier im ruhigeren Wohnviertel keinen Anschluss zu finden", sagt Selina Schmidt. Die Zusammenarbeit mit der Lorenz-Oken-Grundschule sei ein Glückstreffer für das Dietrich-Bonhoeffer-Haus: „Ich kann nur dazu ermutigen, ein solches Projekt zu machen. Unsere Betreuungskräfte reißen sich um das Angebot. Das Ganze funktioniert ohne großen Aufwand und mein Team ist begeistert. Es bringt einfach so viel.“

Über die Lorenz-Oken-Schule Bohlsbach
"Gemeinsam lernen, gemeinsam leben": Motto der Lorenz-Oken-Schule

„Uns ist Demokratiebildung sehr wichtig", sagt Schulleiterin Stefanie Zentner. Klassensprecher*innen sind ab der ersten Klasse aktiv, zusammen bilden sie den Schülerrat. Zudem sei jeden Monat eine Schülerkonferenz: "Da stehen auch die Kleinsten auf und sprechen zur Versammlung", sagt Zentner. Die Grundschule richtet 2016 ihre Schulentwicklung am Ortenauer Weg aus – einem Konzept, das Schüler*innen außerhalb der Schule Engagementerfahrungen ermöglichen will. Das habe über Schulbegleiterin Marita Hanold zu LdE geführt. "Die Kinder lernen hier, dass sie ihre Ideen einbringen können, dass ihre Ideen ernst genommen werden und wir gemeinsam versuchen, ihre Ideen umzusetzen." Das alles empfinde sie als Voraussetzung für Engagement und auch für LdE: den Mut zu haben, auf Menschen zuzugehen, sich mit ihnen zu beschäftigen, sich für sie zu engagieren und etwas zu bewirken. "Dafür legen wir den Grundstein an unserer Schule.“

Die Kinder sind für vier Jahre bei uns. Unser größtes Ziel ist, sie zu mutigen, selbstständigen und mündigen jungen Bürger*innen heranziehen – und dass wir sie nach der vierten Klasse beruhigt in die Welt entlassen dürfen. Bei LdE lernen die Kinder genau diese Fähigkeiten.“

Stefanie Zentner Mitglied der Schulleitung
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