Europatag
Die Idee und Umsetzung
Alles beginnt mit inhaltlichen Recherchen zu europäischen Institutionen, deren aktuellen Themen und dem Lebensweltbezug der Jugendlichen: Was hat Europa mit mir zu tun? Zeitgleich stellt Lehrerin Anne Seifert ihren Schüler*innen verschiedene LdE-Praxisbeispiele vor, um selbst europäische Engagementprojekte im Regelunterricht umzusetzen. Entlang der sechs aktuellen Schwerpunkte der Europäischen Kommission bilden die Schüler*innen Gruppen und wählen Unterthemen. „Die Gruppe zu Digitalisierung hat sich das Thema Cyberkriminalität ausgesucht, daraus hat jedes Mitglied für sich ein Teilthema gewählt, um es dem größeren Thema beizusteuern – so lief es in allen Gruppen“, sagt Lehrerin Anne Seifert. Weitere Themen sind: Migrationspolitik, Green Deal und die Europawahlen 2024.
Seifert wiederum ist Teil der Arbeitsgruppe im Kollegium, die erstmals einen Europatag organisiert: Dabei hält sie nach Möglichkeiten Ausschau, wie sich Schüler*innen in die Planung einbringen können. Im Laufe des LdE-Unterrichts ist ihre Klasse zunehmend überzeugt, es sei „super wichtig, auf die Europawahl 2024 aufmerksam zu machen – weil erstmals Jugendliche mitwählen können“, sagt Anne Seifert. Ihre Klasse will den Tag nutzen, um Ergebnisse der Gruppen zu zeigen, und übernimmt die Organisation des Programms:
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Präsentation: Einführung in EU-Themen und jeweilige Entscheidungsprozesse
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Mobilisierung: Analyse vergangener und Gestaltung eigener Wahlplakate
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Produktion: Gestaltung einer eigenen Ausstellung der Wahlplakate
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Kreation: Darbietung eines szenischen Dialogs zu europäischer Migrationspolitik
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Diskussion: Vorbereitung und Moderation eines politischen Podiumsgesprächs
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Medien: Dokumentation des Europatags über Film und Interviews für die Website
Nach Beginn im Februar und dem Europatag im Mai gestaltet die LdE-Lehrerin im Juni den Abschluss: Über eine Projektprüfung bringen die Schüler*innen ihr fachliches Arbeiten mit Erfahrungen praktischer Unterrichtsphasen in Zusammenhang. Basis ist die stete Reflexion – Ergebnis ist ein fundiertes politisches Urteil, das alle Schüler*innen zu ihrem Thema fällen. Vor einer finalen Evaluation schaut die Klasse den Film Democracy: im Rausch der Daten: „Bei Vorkenntnis fasst dieser Film gut zusammen, wie auf EU-Ebene Entscheidungen getroffen werden – das war unser inhaltlicher Knotenpunkt“.
Die Beweggründe der Lehrerin
„In der zehnten Klasse steht Europabildung im Curriculum: Die Europawahlen 2024 sind ein guter Aufhänger, auch praktisch etwas dazu zu machen“, beschreibt Anne Seifert ihre Motivation, Europabildung mit LdE zu gestalten. Solange Europa abstrakt bleibe, sei es schließlich schnell langweilig – dabei können 2024 erstmals Jugendliche ab 16 Jahren an der Europawahl teilnehmen, was die Jugendlichen der Humboldtschule motiviert. „Mein Anspruch war den Schüler*innen zu vermitteln: ‚Europa hat etwas mit mir zu tun‘.“
Auch die Wahl der Klasse war eine bewusste Entscheidung: „Einige Jungen meldeten mir zurück, es gäbe so viele ausdrucksstarke Mädchen, dass sie nicht mithalten oder sich beteiligen können. Das war der Grund, warum ich LdE in jener Klasse machen wollte – damit gerade diese Gruppe Jungs eine Chance erhält, sich anders einzubringen“, sagt Anne Seifert. Die Auswertung zeigt: „Die männlichen Jugendlichen haben das Projekt tatsächlich noch positiver bewertet als die jungen Frauen – ich glaube, das Ganze ist gut aufgegangen“.
Die Wirkungen des Engagementlernens
Pädagogische Effekte zeigen sich auch an anderer Stelle. Einzelne Schüler*innen überraschen mit ihrer Motivation, sich beispielsweise in das Thema Cyberkriminalität einzuarbeiten: Die Gruppe recherchiert tiefgründig und will verstehen, wie auf EU-Ebene dazu gearbeitet wird, warum die Kritik so groß ist, etc. Für Anne Seifert stehen Motivation und Selbstwirksamkeit in Wechselwirkung: „Wenn ich das Gefühl habe, mich einbringen und mitentscheiden zu können und mich dabei als wirksam erlebe, bin ich auch motivierter.“
Wichtig ist deswegen auch die Teilnahme des hessischen Kultusministers am Europatag: Die LdE-Schüler*innen führen den politischen Entscheidungsträger durch ihre Ausstellung der Wahlplakate und erhalten sehr positives Feedback. Auch wenn auf dem Weg hin und wieder Durchhaltevermögen gefragt ist, zeigt laut Seifert der Europatag schließlich: „Wir haben echt etwas auf die Beine gestellt: Unser Engagement wird gesehen und gewürdigt.“
Das trägt schließlich so weit, dass einige Jugendliche noch mehr machen wollen – eigenständig, nach dem Europatag, außerhalb des Unterrichts. Ihre Aufmerksamkeit lenken sie auf die neuen ukrainischen Mitschüler*innen: Wie geht es ihnen? Eine Gruppe organisiert ein gemeinsames Treffen, um die geflohenen Kinder und Jugendlichen bei einem Eis besser kennenzulernen. Eine andere Gruppe führt Interviews in den sogenannten Intensivklassen durch und erfährt, dass sich viele ukrainische Schüler*innen über die Hilfsbereitschaft an der Schule freuen, sich aber mehr Interesse und Kontakt wünschen: Die Ergebnisse erscheinen in der Schülerzeitung – mit einem Appell, aufeinander zu zugehen.
„Auch diese Schüler*innen haben sich sehr wirksam gefühlt und konnten ein Stück weit die aufwühlende Situation an den EU-Außengrenzen verarbeiten, in die sie sich zu Beginn eingearbeitet hatten“, sagt Anne Seifert. Im kommenden Jahr wiederholt die Schule ihren Europatag: Die Premiere war ein riesiger Erfolg.
Anne Seifert LdE-LehrerinMein Eindruck ist, dass Europabildung nicht sehr beliebt ist: weil es häufig um Institutionenwissen geht und weit weg scheint. Mein Anspruch war, den Schüler*innen zu vermitteln: "Europa hat etwas mit mir zu tun und ich kann einen Beitrag leisten".